Ja, schon klar, ich wollte meine Klappe halten. Den Schwachsinn in diesem Lande nicht zu kommentieren verursacht mir aber bisweilen physischen Schmerz (Anm.d.Red.: Ich stelle sogar eine permanente unterschwellige Aggressivität fest, die sich dergestalt äußert, dass ich mich dabei ertappe, wie ich Gewaltfantasien habe und einigen Protagonisten das überhebliche Grinsen aus dem pressekonferenzgeübtem Alternativlos-Gesicht prügeln will. Hinsichtlich der Vorstellung diesem Pfannkuchen-gesichtigen A-Kind aus der VW-Werbung einfach mal ordentlich der Hintern zu versohlen und dem Papa eine Beule in die Tür von seinem verschissenen ID4 zu treten, konnte ich beruhigt werden. Diesen Impuls verspüren noch andere). Aber keine Sorge, ich fasse mich kurz!
Heute möchte ich nur stellvertretend für alle Politiker im Wahlkampf dem SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz für seine Unverfrorenheit gratulieren. Es ist schon bewundernswert, wie unsere demokratisch gewählten Vertreter mit menschlichem Leid die eigenen machtpolitischen Ziele befeuern. So hat Scholz heute das Vivantes Klinikum in Berlin besucht, um sich vor Ort auf einer Intensivstation ein Bild von der Lage zu machen. Im Klartext, aus egoistischen Wahlkampferwägungen hatten er und seine Partei offensichtlich kein Problem damit den Pflegekräften mit seiner Entourage aus Reportern, Personenschützern und einer unbekannten Zahl an Wasserträgern und machtgeilen Nachwuchspolitikern auf den Füßen rumzustehen und sie von der Arbeit abzuhalten (Anm.d.Red.: Scholz ist nicht der einzige. Auch andere Spitzenkandidaten im Bundestagswahlkampf geben sich gerade in den Krankenhäusern die Klinke in die Hand. Solche medienwirksamen Events bedürfen einer intensiven Vorbereitung. Was soll gezeigt werden, welcher Pfleger aus dem Massenmeinungs-kompatiblen Mainstream hat Dienst, welche Sicherheitsvorkehrungen sind zu treffen etc.? Lagebesprechungen, Probeläufe, Drehbücher! Wie kann man als Leiter einer Intensivstation mit einem Restgewissen so eine Promotion-Veranstaltung zulassen, wenn man angeblich an der Belastungsgrenze arbeitet?). Ich finde es unglaublich, wie ein Politiker sich hinterher ohne rot zu werden vor die Presse stellen kann, um offensichtliche Missstände in der medizinischen Versorgung unseres Landes anzuprangern, die man selber in Regierungsverantwortung einfach nicht angepackt hat. Praktsich, wenn da der verantwortliche Gesundheitsminister von der konkurrierenden Partei ist. Es wäre ein leichtes gewesen, das seit Jahrzehnte schwelende Problem der schlechten Entlohnung auf dem Pflegesektor vor dem Hintergrund dieser Corona-Krise anzugehen, was gleichzeitig auch den damit zusammenhängenden Personalnotstand gelöst hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Im letzten Jahr wurde viel geklatscht, aber die Branche hat, dank hoher Belastung, schlechten Arbeitszeiten und mieser Bezahlung einer Personalrückgang zu beklagen.
Der schottische Philosoph Adam Smith hat die Metapher der ´unsichtbaren Hand´ formuliert. Er hat allgemein für Gesellschaften beschrieben, dass sich das Allgemeinwohl automatisch einstellt, wenn sich die einzelnen Menschen nur um ihr eigenes Wohl kümmern (Anm.d.Red.: Bei Markus Söder bin ich mir allerdings nicht so sicher. Der macht einen auf Corona-Heiland und hat trotzdem von der Performance her seinem eigenen Volk im Bayern stets im Bundesländervergleich die schlechtesten Pandemiewerte – sinnvoll oder nicht sei hier dahingestellt – beschert. Gemeinwohl und Umfragewerte haben eben nichts miteinander zu tun). Danke Herr Scholz, dass sie mir heute einmal beweisen haben, dass auch unsere Demokratie nach diesem Prinzip funktioniert.
Hätten wir allerdings noch Politiker wie Helmut Schmidt, die die Größe besaßen nicht nur Gutes und Richtiges zu tun, wenn es den eigenen Zielen nutzte, sondern auch dann, wenn ihnen daraus Nachteile entstehen konnten, wären wir um Längen besser durch die Corona-Krise gekommen.